Das Rätsel liegt in dir und wird von außen auf dich zukommen. Genauso wie die Lösung.
Du darfst der Entdecker sein.
Bewusstsein ist der Urgrund allen Lebens.
Vorwort
Herzlich willkommen in meiner Erzählung über die außergewöhnliche Zeit, die ich in Schweden an der internationalen Schule "Holma College of Holistic/Integral Studies", einem alternativen Universitätsprojekt, verbracht habe.
Über meine Erlebnisse und Gedanken an Holma College wollte ich schon schreiben, seit ich im September 2002 dort zu studieren begonnen hatte. Realistisch wurde die Idee erst, als ich aus Schweden zurückkam: ich hatte mehr Abstand zum Geschehen, konnte mit einer weiteren Perspektive darauf schauen. Außerdem traf mein innerer stetig gewachsener Wunsch, alles Gelernte zu teilen und mitzuteilen, auf interessierte Nachfragen von Freunden und Bekannten. Es ist mir auch ein Anliegen, eine Brücke zu
bauen von mir zu den Menschen, die mir wichtig sind, mit denen aber eine gewisse Entfernung oder Entfremdung entstanden ist eben durch das in Schweden Erlebte und meine daraus gewonnenen Ansichten und Gedanken. Einen konkreten Rahmen und Anlass für diese Erzählung hat mir das Orientierungssemester der FGF (Fördergemeinschaft zur Gründung einer Friedensuniversität) gegeben, wo ich eigene Projekte entwarf und nun durchführe.
Der Titel "Unitopia" stammt aus einer Verschmelzung der Begriffe "Universität" und "Utopia" und ist mir beim Brainstorming von einer netten Muse eingeflüstert worden. Ich war begeistert, wegen der witzigen Parallele zur Eurotopia-Idee und v.a. weil er treffend das Hauptthema beschreibt, das mich während der Zeit in Schweden beschäftigt hat: Eigentlich hat mich die Frage nach einer idealen Universität, wo man fürs Leben lernt, überhaupt erst nach Holma gebracht...
Der Text enthält eine Einleitung über die Ereignisse, die mich zum ersten Kontakt mit dem Projekt "University for Global Well-Being" (UGWB) und seiner ersten Schule "Holma College of Holistic/Integral Studies" geführt haben. Danach folgen mehrere Kapitel über meine Erfahrungen dort, einschließlich den Seminaren und dem Aufbau (Organisation) des Projekts, sowie ein Nachwort mit abschließenden Reflektionen.
Bei der Lektüre wünsche ich im Anschluss viel Spaß. Vielleicht findet sich ja für den einen oder anderen ein neuer Gedankenanstoß, eine neue Sichtweise oder eine Stelle, wo er sich selbst wiederentdeckt...
Einleitung
Am Anfang eine Frage...
In meinen Semesterferien im März 2002 - nach einem Semester Studium der Ethnologie mit Nebenfach Psychologie an der Universität München - war ich mir darüber klar, dass mir in meinem Universitätsdasein definitiv etwas fehlte.
Mein anfängliches Misstrauen auf Lebensferne dem theoretischen Studieren gegenüber schien sich zu bestätigen. Allerdings hatte ich die Erfahrung eines Semester gebraucht, um Stück für Stück herauszufinden und für mich zu definieren, was es war, das mich störte, und was ich anstatt dessen wollte und brauchte, aus einem inneren Bedürfnis heraus:
· Als störend empfand ich den bürokratischen und Lernfabrik-haften Charakter der Universität, der einerseits Zeit- und Kraftvergeudung zur Folge hatte, andererseits eine Atmosphäre von Beliebigkeit und Unpersönlichkeit sowie ein unzureichendes Lernen, welches einseitig intellektuell auf enge Bereiche und auf Reproduktion beschränkt war. Ich hatte keine Lust auf überfüllte Hörsäle, wo ich bis zu 25 Minuten vor Veranstaltungsbeginn da sein musste, um mir einen Platz zu erdrängeln. Ich hatte auch keine Lust auf riesige Hörsäle, wo ich einer unter unendlich vielen war und als solcher angesprochen wurde, wo ich nur über ein knackendes Mikro und Lautsprecher mit dem Dozenten verbunden war, dem Menschen, von dem ich lernen sollte, und der sich weit außerhalb meiner Reichweite als kleine Figur am Pult bewegte. Ich war müde ob der vollgestopften Bibliotheken, wo Bücher meine Lehrer sein sollten. Das musste doch auch anders gehen?! Ich war ein Mensch und wollte auch als solcher leben und lernen.
· So wusste ich, was für mich wichtig war: Wirklich sinnvolles Lernen würde alle Lebensbereiche inhaltlich integrieren, also soziale, emotionale, intellektuelle, praktische, körperliche und spirituelle Komponenten haben. (Als spirituell verstehe ich in dem Zusammenhang alles, was ein selbstverantwortliches friedliches Leben im Bewusstsein der sinnvollen Verbundenheit mit allen anderen Lebensformen ermöglicht: konstruktiver Umgang mit Angst, mediativer Umgang mit Streit und Vorurteilen, meditativ-präsentes Wahrnehmen usw.) Eine stimmige Art und Weise des Lernens enthält meiner Meinung nach ein Minimum an Stress, ist von der engagierten Selbstverantwortung des einzelnen Studenten getragen und würde daher individuell verschiedene Themen seiner Wahl miteinander vernetzen, in denen als erstes fundierte Grundlagen geschaffen werden müssten. In kleineren Gruppen, wo jeder einen persönlichen Bezug und den Mut zu grundehrlichem Ausdruck entwickeln kann, ist die Funktion des Lehrers eine beratende, durch Empfehlung und anschauliches Erklären eigener Erfahrungen führende. Übungen zum eigenen Erleben und Umsetzungsprojekte außerhalb der Unterrichtsräume bereichern den Unterricht ebenso wie der Augenmerk auf ein bewusstes Miteinander in kleinen Lerngruppen gelegt wird. Die Studenten finden ihre individuelle Wahrheit jenseits der Illusion vom absolut Richtigen und
entwickeln Fähigkeiten, die sie in einem breiten Spektrum von Lebensbereichen einsetzen können. Das war meine Vision von wirklichem Lernen.
Meine bisherigen Versuche, eben diese Elemente in Eigenverantwortung in meinen Studienalltag zu integrieren (1. durch Praktika und Jobs als Praxisbezug, 2. durch Gestalten meines Stundenplans mit längeren Pausen zwischen den Veranstaltungen zum Nachdenken und Verarbeiten des an der Uni Gehörten, für Bewegung in der Natur, für Lernen durch zwischenmenschliche Begegnungen und für die Begegnung mit mir selbst in Meditation, 3. durch Besuch eines T'ai Chi-Kurses, 4. durch das Studienangebot ergänzende selbstgewählte Themen wie z.B. Massage, Selbsterkenntnis, paranormale Phänomene und Reformpädagogik), waren fehlgeschlagen.
Entweder ich war als Erstsemester zu unerfahren und dadurch etwas ungeschickt dabei gewesen oder es war einfach unmöglich, als einzelner so viel abzuwandeln und zu integrieren und gleichzeitig den Studienanforderungen zu genügen. Bzw. eine Brücke zu schlagen zwischen meinen besonderen Studienvorstellungen und den gegeben Studieninhalten und Lernweisen.
Ich war also für mich an einem Punkt, wo ich vor der Entscheidung stand, es noch einmal zu versuchen im kommenden zweiten Semester oder mich nach etwas anderem umzusehen. Die Frage war nur nach was.
Mangels Alternativen und wegen meinem starken Willen, eine Lösung zu finden, beschloss ich, mein 2. Semester mit einer abgewandelten Strategie (weniger Veranstaltungen und dadurch Fokussierung, weniger bremsende Vorurteile gegenüber Unilernsystem, dafür mehr Mut, Durchhaltevermögen und Ordnung beim Bearbeiten der Studieninhalte, systematisches Angehen meiner selbstgeschaffenen Studieninhalte, weniger Arbeit/Praktikum) und neuem Glück zu versuchen und mich gleichzeitig nach einem anderen Studienfach oder einer anderen Lernmöglichkeit umzusehen.
Dabei fühlte ich mich jedoch insgeheim etwas hoffnungslos, war nur mit halbem und schwerem Herzen bei dieser Lösung, so richtig zukunftsträchtig fühlte sie sich nicht an. In mir trug ich den Wunsch, einen Ort zu finden, wo ich zusammen mit Gleichgesinnten meine Vision von einem besseren und sinnvolleren Lernen umsetzten könnte - eine Gruppe von Leuten, die sich gegenseitig unterstützen und motivieren, wäre meiner Ansicht nach viel erfolgreicher in der Gestaltung eines anderen Lernens. Vielleicht gäbe es sogar einen Ort, wo schon die Studienumgebung so gestaltet war, dass sie meinen Bedürfnissen entgegenkam. Eine Schule, wo man genau über die Energie- und Bewusstseinsfelder lernen könnte, welche die Grundlage aller manifesten Realität zu sein schienen, eine Schule, deren Lehrangebot auf dieser Erkenntnis aufbaute. Das war utopisch, noch nie hatte ich von einer solchen Schule gehört, und ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass jemand jemals auf solch eine Idee gekommen wäre und sie noch dazu verwirklicht hätte. Und wenn ich mir meine Mitstudenten so anschaute, starb meine Hoffnung auf engagierte Gleichgesinnte.
Eine erstaunliche Begegnung...
So genoss ich meine verbleibenden Semesterferienwochen, oder versuchte es zumindest - denn innerlich fühlte ich mich nicht nur sehr orientierungslos, sondern auch zukunftslos: auf einem aussichtslosen Posten.
Als ich so in einem alternativen Kindergarten für drei Wochen aushalf, erreichte mich eines Morgens ein Brief von einem Bekannten aus dem Ökodorf Siebenlinden, wo ich zuvor ein zweiwöchiges Praktikum gemacht hatte. Dieser Bekannte erzählte vom Besuch einer internationalen Studentengruppe aus Schweden. Sie seien mit ihrem Direktor auf einer Studienfahrt zu Ökodörfern in Europa. Er hätte mit einigen geredet und wäre fasziniert von ihrer weltoffenen, freundlich-interessierten und toleranten Art, mit der sie gleichzeitig ihre eigene ungewöhnliche bis revolutionäre Weltsicht vertreten würden. Dabei wäre ich ihm eingefallen, mit meiner Suche nach einer alternativen Schule.
Ich war überrascht. Etwas zögernd-misstrauisch und gleichzeitig neugierig öffnete ich die Seite der Schule, sie hieß Holma College of Holistic Studies, im Internet. Ich las die erste Passage der Eingangsseite: "What lies at the roots of the personal, social and environmental problems that plague our present age? To what extent does our consciousness and worldview create our daily reality? How might a group of open and concerned citizens play a role in unfolding the future? " Halb fasziniert, halb erschüttert saß ich vor dem Computer. Das war doch nicht möglich! Genau das war es, was mich die ganze Zeit schon so brennend interessierte! Endlich mal jemand, der auch diese Frage stellte - vielleicht hätte ich es nicht genau so ausgedrückt, und auch die engagierte Gruppe, die sich für Veränderungen in der ganzen Welt einsetzt, war bisher noch nicht so in meinem Fokus gewesen, aber diese Sätze trafen den Kern dessen, wo es mein ganzes Wesen hindrängte. Atemlos las ich den Text weiter, auch die folgenden Seiten, rauf und runter, kreuz und quer - mit wachsender Begeisterung und einer aufgeregten Faszination, die mich nicht so bald wieder los ließ.
Der gesamte Text war auf Englisch und enthielt eine ausführliche Darlegung über die Notwendigkeit einer neuen Weltsicht - v.a. auch in der Wissenschaft, die Weltbild, Wertsysteme und Strukturen unserer modernen Gesellschaft maßgeblich bestimmt - und über die eines neuen Universitätssystems, sowie ein Empfehlungsschreiben und Studentenkommentare, den Semesterplan, praktische Hinweise zum Studentenleben und Bewerbungsunterlagen.
Alles das führte ich mir in den nächsten Tagen konzentriert zu Gemüte - ich hatte schon längere Zeit keine Berührung zum Englischen mehr gehabt und musste mich erst wieder einlesen, um alles vollständig zu erfassen.
An dieser Schule schien es genau das zu geben, was ich wollte und mir so gewünscht hatte in den letzten Monaten meines Studentendaseins an der Universität München: Holma College wollte eine fruchtbare Lernumgebung bieten, um die Studenten bei ihrem individuellen Lernprozess dabei zu unterstützen, emotionale, intellektuelle, spirituelle, ästhetische, physische und soziale Fähigkeiten auszubilden und zu Fertigkeiten weiterzuentwickeln. Dazu gab es ein internationales Angebot von Seminaren, die Themen aus verschiedensten Bereichen und aus einer alternativen Sichtweise anboten (von Quantenphysik über Konfliktmanagement zu modernem Tanz und Mandala-Malen), damit man das Leben in seiner Gesamtheit als ein Meer von dynamischen Systemen entdecken konnte. Selbstverantwortliches Lernen war großgeschrieben, ebenso wie dogmenfreies Selbstdenken und ein persönlicher Kontakt zu den Lehrern. In der internationalen Studentengruppe sollte viel Wert auf Dialog und Gruppenarbeit gelegt werden, so dass eine intensive Lernerfahrung entsteht. All das würde stattfinden in einer Wohngemeinschaft, wo ökologische Kost von den Studenten selbst zubereitet wurde. Eingebettet war Holma College of Holistic Studies in die bezaubernde schwedische Natur.
Und endlich hatte ich einen Namen für die Art des Lernens, welche die für mich essentiellen Elemente enthielt: ganzheitliches Lernen! Und ich war auch nicht die einzige, die den holistischen Ansatz für sich entdeckt hatte und umzusetzen versuchte: ich war nicht allein - es gab sogar eine Schule und ein ganzes Projekt mit Netzwerk dazu.
Entscheidungsfindung...
Meine Mutter und einige Freunde, denen ich von Holma College erzählte, reagierten zustimmend bis zögerlich. Wie viel das koste? Das war ein Minuspunkt, das musste ich zugeben, um die 500 Euro im Monat, meine normalen monatlichen Unterhaltskosten waren bisher wesentlich günstiger gewesen. Allerdings hieß es auch, dass man da wirklich was erwarten konnte, ein qualifiziertes Angebot. Außerdem wurde der Großteil der Studiengebühr über Spenden finanziert, die 500 Euro waren für Unterkunft und ökologische Kost.
Aber es stimmte schon, ich war zögerlich. Würden sie mich an so einer Schule nehmen? Die hatten sicher genug tolle Studenten, die dort einen Platz wollten. Und ob ich da überhaupt hinpasste, die nötigen Qualifikationen hatte? Und dann noch dazu alles in Englisch - ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich ein Jahr an einer englischsprachigen Universität studieren könnte - für so ein elaboriertes Niveau schätzte ich mein Englisch als nicht ausreichend.
Als ich so hin- und hergerissen die Homepage durchstreifte, stieß ich auf ein Datum, das ich bisher übersehen hatte. Es war der Bewerbungsschluss, und der war ... in gut zwei Wochen!
Als ich das realisierte, fiel mir mein Herz in die Hose. Gleichzeitig fing es in mir an zu arbeiten und zu rattern: alles in mir lief auf Hochtouren. Ich musste mich entscheiden, was ich wollte. Zum faszinierenden einmaligen Holma College und dem UGWB-Projekt oder in eine höchst ungewisse Zukunft, wo vielleicht ein - eher unrealistischer - Kompromiss mit der Universität lag oder etwas anderes noch weniger Greifbareres in der gewöhnlichen für meine Ideen und Bedürfnisse blinden und tauben Gesellschaft?
Meine Entscheidung fiel für Holma College. Zumindest eine Bewerbung wollte ich schreiben, versuchen kostet ja nichts: wenn es nicht klappen sollte, hätte ich nichts verloren, stünde da, wo ich jetzt war, nur eben im Wissen, dass ich es wenigstens versucht hätte.
Bewerbung...
So begann ich, meine Bewerbung zu schreiben. Sie sollte gut sein, so gut wie irgend möglich. Dazu durchkämmte ich genauestens die Darstellung der Schule im Internet und abstrahierte das Wesentliche, womit sie sich identifizierte. Parallel beantwortete ich die Fragen nach meiner Motivation, an Holma College studieren zu wollen, nach dem, was ich einbringen wollte in die Lerngemeinschaft, und nach den Seiten von mir, die ich während des Studiums weiter entwickeln wollte. Dabei fiel mir auf, dass sich das Profil der Schule und meines genau deckten bzw. wie Schlüssel und Schloss ergänzten: eigentlich wollten wir dasselbe - ich war genauso perfekt für diese Schule wie sie für mich!
Ich setzte all meine Ressourcen zum Schreiben dieser Bewerbung ein, verbrachte viele Stunden mit hochkonzentriertem Arbeiten. Ich war glücklich festzustellen, dass ich das noch konnte. Während der Zeit an der Uni München hatte ich kein einziges Mal so gearbeitet. Aber mit der richtigen Aufgabe kamen all die Energie und die Fähigkeiten zurück, die ich brauchte, die ich von früher kannte und schon verloren geglaubt hatte.
Eine gute Freundin opferte einige Zeit, Kraft und Geduld, um mir mit dem Übersetzen ins Englisch zu helfen. Meine Mutter gab mir Zuversicht, mich bei der Finanzierung zu unterstützen. Eine ehemalige Lehrerin versorgte mich mit einem Empfehlungsschreiben. Mein Vater, dem ich seit langer Zeit in genau dieser Zeit einen Besuch versprochen hatte, ließ mir den Raum, den ich zum Schreiben brauchte und stellte seine Pläne zur gemeinsamen Zeitgestaltung zurück.
Gerade rechtzeitig waren wir am 15. April fertig: die Bewerbung auf dem Postweg nach Schweden und ich völlig erschöpft auf dem Sofa.
Warten...
Jetzt blieb mir nur zu warten.
Das zweite Semester begann. Ich gestaltete meinen Stundenplan, machte meine begleitenden Pläne für meine persönlich kreierten Themenbereiche - alles im Spannungsfeld der Unsicherheit, ob ich das für meine nahe Zukunft an dieser oder einer anderen Universität machte oder ob es alles eher unwichtig war, weil die Uni München und die Ethnologen mich für die längste Zeit gesehen haben würden.
Ich wartete und wartete, wurde unruhig.
Eines Morgens im Juni fand ich überraschend ein Email in meiner Mailbox. "Dear Konstanze, we are happy to tell you that you are accepted as a student at Holma College for the fall semester 2002."
So einfach war das also. Sie hatten mich genommen. Sie hatten mich genommen! Ich hüpfte einen Meter hoch und stieß einen Jubelschrei aus. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich so was schon mal zuvor gemacht hab. Meine Mutter kam, herbeigerufen von meinem Schrei, gratulierte mir herzlich und wurde etwas traurig. Sie würde mich für ein Jahr nicht zu Gesicht bekommen.
Vorbereitungszeit...
Die nächsten Wochen verbrachte ich mit dem auslaufenden Semester. Es fiel mir immer schwerer, in meine Veranstaltungen an der Uni zu gehen. Ich machte noch den Schein für die Einführungsvorlesung und das war's. Meine Zeit verbrachte ich damit, ansatzweise meine Englischkenntnisse zu aktivieren, auszubauen und mich seelisch auf das kommende Jahr vorzubereiten. Ich wusste ja nicht, was da auf mich zukommen würde, ob die von Holma College nicht am Ende feststellen würden, dass sie mit mir ein schwarzes Schaf oder hässliches Entlein in ihrem tollen Kurs hatten. Ich wurde zeitweilig von schweren Selbstzweifeln geplagt.
Außerdem beschäftigte ich mich eingehend mit dem Thema Beziehung und Kommunikation, was den Hauptteil meiner Zeit und Energie in Anspruch nahm.
Zwischendurch wunderte ich mich einmal. Nach meiner ersten Aufnahmebestätigung an Holma College hörte ich über 4 Wochen nichts mehr von den Leuten. Auf meine Frage kam Schweigen. Ob sie sich geirrt hatten? Was, wenn das nicht klappen würde? Ich hatte mir nicht überlegt, was ich sonst machen könnte; Ethnologie kam nicht in Frage und sonst wusste ich auch nichts. Mehrmals öffnete ich das Email mit meiner Aufnahmebestätigung, um zu sehen, dass sie wirklich war. Was um alles in der Welt war los?
Endlich eine Antwort, allerdings nicht von der Direktorin diesmal, sondern vom Vorsitzenden des Gründungsvereins. Die Direktorin hätte sich aus persönlichen Gründen verabschiedet, er sei von nun an meine neue Kontaktperson.
Das gab mir etwas zu denken. Was war da denn passiert, dass die auf einmal Direktor wechselten, scheinbar aus heiterem Himmel, sich dann noch so lang nicht melden, als wäre die Organisation lahmgelegt. Besonders überzeugend fand ich das nicht. Ich überlegte, genauer nachzufragen, was vorgefallen war, ließ es dann aber sein.
Eine Überraschung...
Meine letzten Wochen vor Beginn des Kurses verbrachte ich mit einem Kurzurlaub mit meiner Mutter und Schwester in Wien, wo mich Hundertwasser mit seinem lebensfrohen Baustil und seinen Baummietern begeisterte. Dann besuchte ich das einwöchige Sommerfest des Ökodorfs Siebenlinden. Allein in einem Haufen von 100 Fremden - nachdem meine Freundin zu meiner großen Enttäuschung kurzfristig abgesagt hatte - kratzte ich meinen Mut zusammen.
Dort stieß ich auf einen jungen Mann, Claas, der auf einer ähnlichen Schule wie Holma College gewesen war, der "Nizhoni School for Global Consciousness" von Chris Griscom in Neumexiko. Ein bisschen anders zwar, aber im Wesentlichen dasselbe. Er erzählte von der Notwendigkeit, eine alternative Schule in Deutschland aufzubauen, was für ihn zur Vision geworden war. "Dann sind wir ja schon mal zu zweit.", stellte ich fest.
Wir verstanden uns ganz gut, sehr gut sogar (wer weiß, ob wir so viele unser Gedanken ausgetauscht hätten, wenn meine Freundin mit mir auf dem Festival gewesen wäre...), so gut, dass wir meine letzten beiden Wochen vor der Abreise miteinander verbrachten, um uns näher kennen zu lernen. Meine Versuche, mehr Englisch zu lernen, vernachlässigte ich zwar sehr stark, dafür erlebte ich viel anderes Wertvolles in dieser Zeit. In Sachen Beziehung und Kommunikation hatte ich im zweiten Semester anscheinend so gute Fortschritte gemacht, dass auch hier für mich ein neues Kapitel beginnen sollte.
Abreise...
Ende August packte ich in Windeseile meine Koffer, bekam einen sehr netten Überraschungsabschied am Münchner Bahnhof und trat schließlich in der Abendsonne meine Reise nach Schweden an. Von meiner Mutter hatte ich eine Abschiedskarte bekommen mit dem Bild "Sternengeburt". Der Text, den sie dazu geschrieben hatte, war voller Ermutigung und Liebe und berührte mich zutiefst.
Als ich so aus dem Zugfenster in den glühenden Abendhimmel schaute, hatte ich ein fast überwältigend gutes Gefühl: dass ich auf dem richtigen Weg war, auf meinem Weg.
Ich fühlte mich sehr ruhig und stark und sicher und voller Energie, als ob ich die ganze Welt erobern könnte, das ganze Universum, mit dem ich lebendig verbunden war, das durch meine Adern pulsierte und das mich in seinen Armen willkommen hieß.
Erstaunt und dankbar schaute ich zurück auf eine Reihe von sich eigenartig sinnvoll ergänzenden Zufällen, die ich für mich als synchronistische Ereignisse deutete. Wer hätte je gedacht, dass ausgerechnet ich so einen unglaublich effektiven Schub von Synchronizität erfahren sollte, der mein ganzes Leben erfassen, es von unten nach oben stülpen und schließlich vollkommen verwandeln würde? (Noch vor einigen Monaten hatte ich schließlich halb verzweifelt mit meinem Studentendasein gehadert und in einer ausweglos anmutenden Situation eine Lösung gesucht. - All das schien Welten von mir entfernt.) Davon hatte ich sonst nur in Büchern gelesen.
So hatte sich mein Wunschtraum erfüllt: Vor drei Jahren hatte ich aufgehört, fernzusehen und Romane zu lesen, weil ich nicht mehr länger die Geschichten anderer nachleben wollte, sondern meine wertvolle Lebenszeit und -kraft nutzen, um meine eigenen - echten -
Geschichten zu erleben. Ich wollte das Abenteuer des Lebens selbst hautnah erfahren. Und da war ich gerade mittendrin.
Ich konnte vor meinem inneren Auge die farbig glühenden Energielinien sehen und spüren, welche die Erde überzogen und auf denen ich dem sagenhaften Holma College of Holistic Studies entgegengetragen wurde. Ich wusste, dass mein Leben nie mehr so sein würde wie zuvor; die Begegnung und das Lernen mit Lehrern und Mitstudenten würden mich vollkommen wandeln und wie in einem alchemistischen Prozess einer Transformation unterziehen, so dass ich als leuchtender "change
agent" (Agent des Wandels) hervortretend in der Welt wirken würde.
Rückblickende Reflektionen...
So waren meine Gedanken und Hoffnungen, als ich mich im Nachtzug Schweden und der Kleinstadt Höör näherte, an deren Rand sich Holma College befand.
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch keine Ahnung davon, was auf mich zukommen sollte. Weder von den unerwartet schönen Erlebnissen, noch von den mich bis auf Knochen und Herz fordernden Schwierigkeiten, die auf mich warteten.
Ein bisschen hatte ich schon recht gehabt mit der alchimistischen Transformation. Nur hatte ich keinen blassen Schimmer davon, wie das wirklich ablaufen würde und wie es sich anfühlt, verbrannt zu werden und sich wie der Phönix aus der eigenen Asche zu erheben, aus eigener Kraft. Meine schönen hellen Phantasien hatten mit der blanken Realität nicht gerechnet.
Auch war mir nicht bewusst, was für Schwierigkeiten ich mir durch meine hohen und doch vagen Erwartungen an die Schule meiner Träume vorprogrammiert hatte. Ich erhoffte mir ja Antworten auf meine drängenden Fragen, ein wunderbar erleuchtendes Miteinander, effizientestes Lernen und Entledigung sämtlicher Probleme durch Patentlösungen. Wie genau das wunderbare Lernen ablaufen würde, wusste ich nicht. Und was ich nach diesem vielversprechenden Jahr machen würde,
ebenso wenig. - Bei dem Gedanken wurde mir mulmig, die wenigen Male, die ich ihn zuließ. Ich hoffte, durch die Verbindungen von Holma College weitergeleitet zu werden, einmal auf das Pferd aufgesprungen, würde ich Anschluss zu vielen Möglichkeiten in alternativen Kreisen bekommen. Die Gesellschaft und alles, was mich bisher mit blinder Banalität entmutigt und eingeengt hatte, wollte ich zurücklassen, ohne in Erwägung zu ziehen, dass mich dieser aufs Außen projizierte Teil meiner Selbst einholen würde, bis ich einen anderen Umgang damit gefunden hatte.
Alles das lief überwiegend in meinem Unterbewusstsein ab. Zu diesem Zeitpunkt war ich noch nicht soweit, alles das zu wissen und zu verstehen, und ich brauchte es nicht zu sein. Alles kommt zu seiner Zeit... Und zum Lernen war ja Holma da und wartete auf mich.
Ent-Täuschung sollte mir zum Geschenk werden: bar jeder Täuschung dem Wunder des Lebens und seiner Wirklichkeit ins Antlitz blicken, mit erstaunlicher Klarheit meine eigene Verantwortung und die ihr innewohnende Schöpferfreiheit wahrnehmen - und erkennen, dass letztlich das Außen ein Spiegel des Inneren ist.